Unser Kolumnist Gerhard Spitzer über zuckersüsse Festtags-Gewohnheiten – und wie man sie mit der ganzen Familie überwindet.
Hilfe! Die weihnachtliche Schlemmerzeit ist im Anrollen! Nichts Schlechtes per se, das nicht! Aber viele Familien meinen halt, sie würden diese zumeist bemerkenswert üppige Zeit ganz ohne «saures Aufstossen» durchstehen! Klar wachsen sich die vorweihnachtlichen Überangebote nicht immer zu «Problemfällen» aus. Doch beim Naschverhalten unzähliger Kids ist das nur allzu häufig ein wenig anders. Ein geradezu mystischer Vorgang scheint sich vielerorts Jahr für Jahr aufzubauen: Wenn es während der feierlichen Zeit endlich mal so richtig von allen Seiten erlaubt ist, sich die volle Ladung Schweizer Schoggi & Co einzuverleiben, bleibt jedes Jahr ein bisschen mehr von dieser Leidenschaft zurück. Manch ein Kind schaut jetzt noch öfters als zuvor klammheimlich nach, was gerade an Süsskram daheim so eingelagert ist. «Noch mehr desselben… », würde Paul Watzlawick sagen.
Unwort
Auch Anette K., stolze Mutter eines achtjährigen Schleckermäulchens sucht deshalb unsere heilpädagogische Ambulanz auf: «Unser Claudio möchte in letzter Zeit fast nur noch Süsses essen. Sogar wenn er schon etwas bekommen hat, holt er sich immer wieder zwischendurch Nachschub aus der Naschlade! Wir können das kaum kontrollieren! » Stopp! Da ist es gefallen, das Stichwort, vielmehr das Unwort: «Naschlade»! Der liebe Claudio ist also offenbar in auffälliger Weise zum gewohnheitsmässigen Schleckerich mutiert. Die «geheime Quelle» hierfür ist schnell ausgemacht: Seit Weihnachten im Vorjahr existiert im Hause ein immer offener, zuckersüss bestückter Familien-Vorrats-Speicher, der Claudio, den pfiffigen Sucher, natürlich immer fündig werden lässt. Sucht sei Dank!
Zum Donnerdrummel
Da beginnt sich der Kreis auch schon zu schliessen. Auch Mama Anette kann ich diesen Kurzschluss nicht ersparen: «Die immer offene Naschlade ist das Problem, liebe Mom! Dieses Teil macht ohnehin schon ‹süsse Fratzen› erst zu richtigen Gewohnheitstieren! Warum schicken Sie diese verführerische Einrichtung nicht einfach zum Donnerdrummel – so würde es jedenfalls die unvergleichliche Astrid Lindgren ausdrücken, die ja auch in der Schweiz bestens bekannt ist – und machen, gleich zum Ende der heurigen Weihnachtszeit, beispielsweise eine nette Strümpfe- Lade draus?»
Ja, gut, der Vorschlag mit den Strümpfen würde jetzt nicht so ganz auf die für Naschladen üblichen Bereiche Küche und Essen passen, aber egal: Weg muss das Ding auf jeden Fall, wenn man Kinder wie Claudio wieder kontrolliert-gesund ernähren will!
Ich möchte es, wie gewohnt leicht überzeichnet, mal so ausdrücken: Würde man mich zum Departementsvorsteher für Gesundheit erwählen, ich würde alle Familien- Naschladen in der Schweiz achtkantig aus den trauten Häusern schmeissen…!
Meine absonderlichen Gedankengänge werden jäh unterbrochen, als Anette nach kurzer Überlegung eher kleinlaut gesteht: «Na ja, halte ich die Familien-Naschlade eher wegen meines Mannes gefüllt! Er wird geradezu ungemütlich, wenn er nach einem langen Arbeitstag nichts zum Naschen vorfindet!» Na also! Dann ist es ja endlich raus!
Beteiligungen
Eine klare pädagogische Erkenntnis, vor allem für treue Leser von FamilienSPICK und meiner Kolumne: Auch beim Essen und «Geniessen» ahmen Kinder nach, was sie bei den «Grossen» sehen. Sie übernehmen gute wie schlechte Gewohnheiten. Ja, ich weiss: Das klingt schon wieder nach dem allseits beliebten Vorwurf, wonach wir Eltern schon wieder an allem schuld seien. Doch ich antworte bei meinen Kabarett-Auftritten auf solch einen Einwurf immer schmunzelnd: «Nein! Liebe Eltern, Ihr seid nicht an allem schuld! Aber an allem beteiligt!»
Weihnachten 2018
In Claudios Welt hat sich seit dem Vorjahr so einiges verändert. Eine Naschlade gibt nicht mehr. Ein «neuer Geschmack » hat Einzug gehalten. Papa hat – sogar auf Anregung seines mittlerweile neunjährigen Sohnemanns – nach und nach eine ganz neue Leidenschaft entdeckt: Die Vorliebe für 98-prozentige Schweizer Schokolade und überhaupt, für manch eine ziemlich bittere Leckerei. Ja! Tatsache, Leute! Dieses unfassbar süsse Zeugs von früher mögen die Beiden überhaupt nicht mehr so richtig und greifen auch im Supermarkt nur mehr sehr selten in dieses Regal. Spannend: Die fast gänzlich bittere, aber unglaublich geschmackvolle schwarze Schoko wird bei fast allen «Umsteigern», die ich kenne, naturgemäss viel langsamer und damit auch in viel kleineren Portionen genossen, obendrein auch wesentlich seltener konsumiert als sämtliche Leckereien zuvor!
Neue Wege
Gerade dann, wenn man selbst ein wenig an den Entwicklungen beteiligt gewesen ist, kann man auch selber noch so einiges daran ändern. Ein überaus entspannender Blickwinkel, finden Sie nicht? Mit diesen positiven Voraussetzungen und etwas Kreativität im Gepäck können ganz sicher auch Sie sogar jetzt, knapp vor der Zeit des Überflusses ein eventuell auffälliges Naschverhalten Ihres Kindes mühelos «runderneuern»!
Klar macht es anfangs ziemlich viel Mühe, sich selbst von alten Mustern zu lösen und vielleicht auch beim Geschmack völlig neue Wege zu gehen. Zuweilen kostet es auch ein wenig Zeit. Doch die dürfen Sie sich getrost nehmen! Auch, und gerade beim «Genusswechsel»! Zu diesem Thema allerdings lasse ich aber lieber den grossen Vordenker der kindgerechten Pädagogik, Jean-Jacques Rousseau zu Wort kommen:
«In der Kindererziehung sollten wir lernen, Zeit zu verlieren, um Zeit zu gewinnen!»
Sie werden es mögen!