Super oder einfach nur Food?
Gefühlt vergeht fast kein Tag, ohne dass irgendwo ein neues Superfood auftaucht. Chia-Samen, Gojibeeren und Moringa scheinen wortwörtlich in aller Munde zu sein. Doch wie gesund ist Superfood wirklich und was macht den Reiz aus, das alles
zu konsumieren? Wir haben mit einer Ernährungsberaterin der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung und einer Researcherin des Gottlieb Duttweiler
Instituts über den Trend gesprochen und nach heimischen Alternativen gefragt.
Im Allgemeinen werden unter Superfood besonders nährstoffreiche Lebensmittel zusammengefasst, vor allem aus dem Bereich Obst und Gemüse. Demnach ist Superfood oft reich an Vitaminen, Mineralstoffen und Antioxidantien, die gesundheitsfördernde Wirkungen haben können. Der Reiz dahinter, solche Superfoods zu konsumieren, steckt laut Christine Schäfer, Researcherin am Gottlieb Duttweiler Institut mit den Forschungsschwerpunkten Food, Konsum und Handel, genau hier: «Superfoods fallen unter die Kategorie ‹Naturally Functional›, das heisst, dass sie von Natur aus gesundheitsfördernde oder leistungssteigernde Stoffen enthalten. Dies ist gerade für jene Konsumenten interessant, die Essen nicht nur einfach als Nahrungsaufnahme oder nur als Genussmoment betrachten, sondern als ein Mittel zur Selbstoptimierung. Denn nur wenn der Körper mit dem richtigen Kraftstoff betankt ist, kann er auch sein ganzes Potenzial ausschöpfen.» Der Begriff «Superfood» ist laut Schäfer nicht geschützt und darf als Marketingbegriff frei verwendet werden. Nirgends werde genau definiert, welche Kriterien ein Kraut, eine Beere oder ein Samen erfüllen muss, um als «super» angepriesen werden zu können. «Für den gesundheitsbewussten Konsumenten scheint das keine grosse Rolle zu spielen. Superfoods sind sehr beliebt und werden in Food- und Fitness-Blogs sowie auf Social Media fleissig beworben», so die Erkenntnis der Forscherin.
Der Reiz des Exotischen
«Einerseits spielt sicherlich der Wunsch nach gesundheitlicher Optimierung eine Rolle, andererseits der Reiz des Exotischen», sagt Ernährungsberaterin Stéphanie Bieler nach den Gründen für den Hype rund um Superfood gefragt. Sich zum Wohle einer gesunden Ernährung auf Superfood zu fixieren, ist laut Bieler aber keine gute Idee: «Einzelne Lebensmittel können weder fit noch schlank oder gesund machen – auch Superfood nicht.» Ob eine Ernährung gesund sei, hänge von anderen Faktoren ab, als ob Superfood konsumiert werde oder nicht. «Die Frage ist, ob der Körper mit allen wichtigen Nährstoffen versorgt wird, um seine Funktionen erfüllen zu können und leistungsfähig und gesund zu bleiben. Dafür braucht es eine abwechslungsreiche, ausgewogene Ernährung: die Mischung machts. Dafür sind keine exotischen Superfoods notwendig.»
Verheerende Folgen für das Ursprungsland
Und Superfood bringt laut der Ernährungsberaterin auch Nachteile mit sich: «Es stellen sich natürlich Fragen zur ökologischen Verträglichkeit, was den Transport und den Wasserverbrauch im Zusammenhang mit Superfood angeht.» Oder was es für die Bevölkerung im Ursprungsland bedeute, wenn die ganze Welt plötzlich nach einem bestimmten Produkt frage. Christine Schäfer konkretisiert: «Der Hype um Superfoods kann für die Produzenten vor Ort zu grossen Problemen führen. Die steigende Nachfrage nach Avocados erhöht den Preis, weshalb mexikanische Bauern mehr Avocado-Bäume pflanzen, um einen höheren Profit erwirtschaften zu können.» Dafür würden illegal Wälder gerodet, um Platz für die Plantagen zu machen. Zudem sei der Anbau, wie Bieler bereits angetönt hat, sehr wasserintensiv und oft würden viele Chemikalien eingesetzt. Wasserknappheit und gesundheitliche Beschwerden seien die Folge. Der Markt für das «grüne Gold» ist laut Christine Schäfer mittlerweile so gross, dass auch Mexikos Drogengangs ein lukratives Geschäft wittern und die Bauern Schutzgeld bezahlen lassen.
«Ein plötzlicher Anstieg der Nachfrage kann auch dazu führen, dass sich die lokale Bevölkerung ihr Grundnahrungsmittel plötzlich nicht mehr leisten kann. Beispiel Quinoa: In den USA und in Europa als glutenfreie und proteinreiche Alternative zu herkömmlichem Getreide angepriesen, erfreut sich das Pseudogetreide wachsender Beliebtheit, was den Preis in die Höhe treibt.» Die Bauern in Peru und Bolivien – wo Quinoa traditionell ein günstiges Grundnahrungsmittel ist – können sich die eigenen Produkte nicht mehr leisten und müssen auf weniger nahrhafte Alternativen ausweichen. «Superfoods werden zudem teilweise in Monokulturen angebaut, was die Böden schädigt und die Ökosysteme der Anbaugebiete gefährdet. Hinzu kommt, dass viele beliebte Superfoods in der Schweiz nicht oder in zu geringer Menge angebaut werden und entsprechend importiert werden müssen, um die grosse Nachfrage zu decken. Dafür werden sie oft über lange Distanzen transportiert, was zu erhöhtem Schadstoffausstoss führt.»
Es gibt heimische Alternativen
Viele Gründe scheinen also dafür zu sprechen, auf heimischen Superfood auszuweichen. Einige Sorten lassen sich sogar ganz leicht selber anbauen und müssen nicht von weit her transportiert werden. Christine Schäfer: «Statt mit Chia-Samen kann man mit Leinsamen die Verdauung anregen. Neben Gojibeeren enthalten auch Heidelbeeren, Johannisbeeren oder Sanddorn viele Vitamine. Baumnüsse trumpfen wie die Avocado mit gesunden Fetten auf. Und Hirse ist – wie Quinoa – von Natur aus glutenfrei.» Für weitere Alternativen empfiehlt die Expertin die Seite www.smarticular.net aufzurufen, wo es eine ganze Liste heimischer Superfoods und Erklärungen zu deren Wirkung gibt. ++
Text: Martina Signer