Kinder brauchen glückliche Eltern!

Wie man richtig mit Kindern «umgeht» und sie erzieht: Das ist bei Eltern immer ein Thema. Wie steht es aber um die Eltern und ihre Gefühle? Die Pädagogin und Therapeutin Gabriele Blankertz plädiert dafür, sich auch als Mutter und Vater Zeit dafür zu nehmen, herauszufinden, was einem guttut. Und zwar nicht zuletzt auch zum Wohl der Kinder.

Über die «richtige» Erziehung wurde viel geschrieben und darüber, was Kinder zu ihrem Wohlergehen brauchen; nur selten dachte man auch an die Eltern und deren Wohlergehen. Aber wie ergeht es Kindern von überforderten oder unglücklichen Eltern? Wie wohl werden sie sich in der Familie, in der Welt, in ihrer Haut fühlen? Was ist das Vorbild, das solche Eltern ihnen geben? Ich möchte die Leser dazu einladen, Erziehung als einen Weg des gemeinsamen Lernens und der gemeinsamen Entwicklung zu verstehen. Ja, ich möchte Eltern einladen, dass sie sich erlauben, so «vermessen» zu sein, über ihr Glücklichsein nachzudenken.

Kein Luxus, sondern Voraussetzung

Eltern haben mit ihrer Art, in der Welt zu sein, eine erste und das weitere Leben prägende Vorbildfunktion für das Kind. Es ist für ein Kind ein wesentlicher Unterschied, ob seine Eltern glückliche Menschen oder ob sie gestresste, unzufriedene, unglückliche oder gar verhärtete oder gehässige Menschen sind. Wenn sie die Wahl hätten, würden Kinder lieber zu glücklichen Menschen gehen, in deren Nähe man sich einfach wohlfühlt. Und tatsächlich beschreiben Klienten, die zu mir in die Therapie kommen, immer wieder, wie wichtig es in ihrer Kindheit war, in ihrem Umfeld einen Menschen gehabt zu haben, der tiefe Herzlichkeit ausstrahlte. Oft waren es Omas oder Nachbarn, in deren Nähe diese Kinder einen haltgebenden, warmherzigen Raum vorfanden, in welchem sie sich so gesehen und angenommen fühlten, wie sie waren. Kinder brauchen glückliche Eltern: Glückliche Eltern zu haben, ist kein Luxus, sondern notwendige Voraussetzung dafür, dass Kinder sich frei entwickeln können und selbst glückliche Menschen werden, ohne das Unglück der Eltern als Last im eigenen Leben mittragen zu müssen.

Die Verantwortung der Eltern ist es daher, sich darum zu kümmern, selbst glückliche Menschen zu werden. Das ist keine leichte Aufgabe. Aber nur so werden sie ihre Kinder von der Last befreien, die «unerledigten» Geschichten gleichsam stellvertretend für die Eltern erledigen zu müssen. «Unerledigt» nennen wir in der Gestalttherapie Erfahrungen und Erlebnisse dann, wenn sie nicht verarbeitet oder, bildlich gesprochen, verdaut werden konnten. Dies sind oft Erfahrungen, die leidvoll, frustrierend oder bedrohlich waren und die verdrängt wurden. Ich möchte Eltern einladen, sich auf Spurensuche zu machen und ihren Geschichten nachzugehen, die hinter ihrem Unglücklichsein oder Unzufriedensein stehen. Erst wenn wir unsere alten Verletzungen sehen und die Zusammenhänge mit unserer Gegenwart erkennen, können wir uns von diesen alten Geschichten verabschieden und nach im Hier und Jetzt angemessenen Formen des Umgangs mit Situationen suchen.

Auswirkungen auf Kinder

Es kann hilfreich sein, mit einem vertrauten Menschen, vielleicht auch dem Partner, über die eigene Geschichte zu sprechen. Dies trägt unter anderem dazu bei, dass der Beziehungsraum wächst. Ob dieser Raum von Spannung oder Heiterkeit geprägt ist, von Vertrauen oder Misstrauen, von Aggression oder Liebe, wirkt sich auf die Kinder aus. Denn es liegt auf der Hand, dass Eltern, die zufrieden und glücklich sind, weniger mit sich selbst beschäftigt sind und eher eine Offenheit für die Bedürfnisse der Kinder aufbringen. Wahrzunehmen, was ein Kind braucht, erfordert, dass ich mich dem Kind zuwende, es beobachte, seine Äusserungen höre und zu deuten weiss. Das ist ein komplexer Vorgang, der bei den Eltern voraussetzt, dass sie in der Lage sind, genau hinzuspüren, dass sie sich einfühlen können und dass sie es verstehen, altersgerecht mit dem Kind zu kommunizieren.

Kinder brauchen eine ganze Menge! Mit der Entscheidung für ein Kind müssen sich Eltern klarmachen, dass sie auf lange Sicht dem Kind gegenüber Gebende sein werden. Die Verantwortung, für das Kind zu sorgen, endet erst, wenn es selbst in der Lage ist, für sich zu sorgen. Es ist tatsächlich viel, was Eltern ihren Kindern geben, wenn sie ihre Aufgabe ernst nehmen. Daher müssen Eltern in dem Masse, wie sie für das Kind sorgen, auch für sich selber Sorge tragen, müssen erkennen, was sie brauchen und sich nehmen, was nötig ist, um im Gleichgewicht zu bleiben und die eigene Mitte nicht zu verlieren. Dazu kann auch schon mal ein zeitweiliger Rückzug gehören; das kann heissen, Zeiten zu reservieren, um mit dem Partner ungestörte Zeit zu geniessen oder mit Freunden auszugehen oder sich therapeutische Begleitung zu suchen, wenn Probleme bedrücken.

Grenzen geben Halt

Wenn wir davon ausgehen, dass sowohl die Bedürfnisse des Kindes wie der Eltern ernst genommen werden müssen, ist es notwendig, auch über Grenzen zu sprechen. Grenzen ergeben sich im Leben auf unvermeidliche Weise. Begrenztes Zeitbudget, begrenzte materielle Ressourcen, begrenzter Energiehaushalt, begrenzte psychische Belastbarkeit. An der Grenze spüren wir aber auch den anderen. Die positive Grenze befindet sich dort, wo Blicke sich treffen,  wo Hände sich berühren, aber auch dort wo ein «Nein» gerufen wird. Dann spüren wir, dass da der andere ist. Kontakt findet, wie Gestalttherapeuten sagen, genau an dieser Grenze statt. Im Respektieren der eigenen Begrenztheit und der Grenze des anderen geht es darum, herauszufinden und auszuhandeln, wo sie gesetzt wird. Kinder schauen eigentlich ununterbrochen, wo sie eine Grenze finden, wie weit sie gehen können. Kinder lernen auf diese Weise sich und die Welt kennen. Wie weit kann ich laufen, wie hoch klettern, wie laut schreien, bis entweder die eigenen Kräfte oder der Mut einen verlässt oder jemand anderer einen einschränkt? Grenzen sind Teil unseres Lebens, wir sollten sinnvoll mit ihnen umgehen. Grenzen geben Kindern dann Halt und Sicherheit, wenn sie dahinter ein sinnvolles Handeln eines wohlwollenden Erwachsenen erkennen können. Willkürlich gesetzte Grenzen sind oft Ausdruck von Macht und wirken destruktiv.

Gelassenheit entwickeln

Die Gefahr als Mutter oder Vater auszubrennen, ist dann gross, wenn die eigene Begrenztheit nicht akzeptiert wird und die Eltern längere Zeit über ihre eigenen Grenzen gehen. Oft sind es Vorstellungen, Bilder, Ansprüche an sich selbst und den Partner, die überfordern. All diese Vorstellungen sind zu überprüfen: Wie das Leben sein sollte, was man als Mutter oder Vater alles zu leisten habe, wie eine moderne Familie leben müsse, welcher Lebensstandard «nötig» sei, was man Kindern bieten wolle. Es muss eingeschätzt werden, was notwendig und machbar ist, vielleicht müssen Ziele oder Pläne korrigiert oder aufgegeben und Entlastungen organisiert werden.

Gelassenheit zu entwickeln, hat mit Loslassen zu tun. Wer zum Beispiel sein Glücklichsein davon abhängig macht, dass die Wohnung immer perfekt geordnet ist, wird, solange die Kinder klein sind, oft unglücklich sein oder die Kinder werden unglücklich sein, weil sie mit Aufräumen überfordert oder gelangweilt werden. Gehen lassen, ohne sich gehen zu lassen, ist ein «mittlerer Weg», mit dem Leben umzugehen, der Kräfte und Nerven schont.

«Gelassenheit hat mit Loslassen zu tun.»

«Eltern dürfen die eigene Mitte nicht verlieren.»

 

Zur Autorin: Gabriele Blankertz, Diplom-Pädagogin und Gestalttherapeutin, Mutter von drei Kindern, arbeitet in freier Praxis in Berlin, sie ist Mitbegründerin des INKONTAKT Gestaltinstitut Berlin; www.blankertz-gestalt.de, www.gestalt-institut.com

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