Mit Kindern reden ist mehr als etwas sagen

Kommunikationskurse sind schwer im Trend. Allerdings wird darin meist vermittelt, wie man sich im Berufsleben richtig verhält oder wie man mit seinem Partner oder seiner Partnerin kommuniziert. Kaum je ein Thema ist der richtige Austausch mit Kindern. Dabei ist gerade das eine Herausforderung. Denn Kinder kommunizieren ganz anders als die «Grossen», und wer sie erreichen will, muss sich an einige Spielregeln halten.

Der kleine Max ist aufgebracht. Seine Lehrerin hat ihn gemassregelt für ein angebliches Fehlverhalten, dabei war der Sitznachbar von Max der Übeltäter. Max hat seinerseits mit wütenden Worten gegen die Lehrerin reagiert. Nun erzählt er das Erlebnis zu Hause, und sein Vater will die Situation beruhigen, indem er sagt: «Das hat sie bestimmt nicht so gemeint, und morgen ist alles wieder in Ordnung. Sollen wir schnell um die Ecke und eine Glace holen?»

Der Fall ist so oder ähnlich ein Klassiker. Max war bereit, über etwas zu sprechen, das ihn beschäftigt, der Vater hat diese Gesprächsbereitschaft abgewürgt. Nicht etwa aus bösem Willen, sondern in der Absicht, das negative Erlebnis vergessen zu machen. Oft geschieht das auch mit dem Versuch, zu trösten («Das war nicht nett von deiner Lehrerin, das tut mir leid für dich.») oder mit einer reinen Verhaltensangabe («Dann hat sie sich eben geirrt, morgen entschuldigst du dich bei ihr für deine Reaktion».). Allen diesen Antworten ist gemeinsam, dass das Thema «erledigt » ist, allerdings nur für den Vater, nicht für Max.

Verständnis signalisieren

Die Grundlage für Kommunikation mit Kindern ist das aufmerksame Zuhören. Das ist nicht immer ganz einfach, denn Kinder erzählen sehr oft auch Dinge, denen wir selbst aus unserer Lebenserfahrung keine wirkliche Bedeutung zuschreiben. Es ist zwar sinnvoll, einem Kind zu ermöglichen, sein Problem so weit wie möglich selbst zu lösen, aber dafür braucht es zuerst Verständnis für seine Lage. Einfache Verhaltenstipps, wie wir sie anderen Erwachsenen geben würden, reichen dazu nicht, weil Kinder die Auswirkungen einer bestimmten Reaktion nicht gleich gut einschätzen können.

Die Pädagogin Trudi Kühn weist in ihren Publikationen darauf hin, dass wir Kinder im Dialog so behandeln sollten wie beste (erwachsene) Freunde. Diese würden wir bei einem Problem kaum abspeisen mit einer Glace als Belohnung oder indem wir das Problem verniedlichen. Die beste Unterstützung ist das aktive Zuhören, das dem Kind auch vermittelt: Ich nehme dich ernst. Damit wird ganz nebenbei auch eine Schlüsselqualifikation fürs spätere Leben vermittelt: Dem anderen zuhören, ernsthaft zurückfragen, das Für und Wider abwägen.

Der beste Ort, die ersten Erfahrungen zu sammeln, ist zu Hause. In vielen Fällen ist der Esstisch der Ort, an dem Kommunikation am ehesten entsteht. Dort trifft sich die Familie, alle sitzen um den Tisch, und auf diesen können die Themen «gelegt» werden, die den Einzelnen gerade beschäftigen. Allerdings reicht das gleichzeitige Hinsetzen nicht, um diese Dialog-Bühne zu eröffnen.

Kinder sind sehr visuelle Wesen. Fehlt es am Blickkontakt, konzentrieren sich beispielsweise alle auf den eigenen Teller oder das Smartphone in den Händen, entsteht keine Brücke zwischen den Familienmitgliedern, die man nutzen könnte. Kinder brauchen Signale, die zeigen, dass sie nun mit ihrem Anliegen im Zentrum stehen. Das kann geschehen, indem man sich – wortwörtlich – auf Augenhöhe mit ihnen begibt, sie vielleicht an den Schultern oder an den Händen fasst und so klar zeigt: Ich bin bereit für das, was du zu sagen hast, und ich bin ganz bei dir und mit nichts anderem beschäftigt.

Mimik muss passen

Was selten klappt: Kinder direkt dazu aufzufordern, ihr Herz auszuschütten. Der Familientisch ist kein Sitzungsraum, in dem eine Traktandenliste abgearbeitet wird und einer nach dem anderen an der Reihe ist. Kinder haben ein Mitteilungsbedürfnis, das ganz von alleine aktiviert wird – sobald man ihnen signalisiert, dass man offen und aufmerksam ist. Oft gehen wir auch von der falschen Annahme aus, dass wir diese Aufmerksamkeit vorspielen können. Ein Vater oder eine Mutter bringt am Ende des Tages selbst viele Themen nach Hause, die ihn oder sie beschäftigen. Da ist es verführerisch, wie nebenbei auf Fragen oder Probleme zu reagieren, beispielsweise mit einer Floskel. Stimmt das Gesagte aber nicht mit der Mimik überein, merken Kinder das sehr genau und schnell. Geistesabwesend Verständnis ausdrücken oder mit gleichgültiger Miene loben oder mahnen: Das hat kaum den gewünschten Effekt.

Während wir im Gespräch mit anderen Erwachsenen oft mit einer direkten Anschlussfrage oder einer weitergedachten Aussage reagieren, sind Kinder damit meist überfordert. Besser ist es, das Gesagte beispielsweise noch einmal kurz mit eigenen Worten zusammenzufassen und erst dann den nächsten Schritt zu machen – oder zurückzufragen, wenn etwas unklar geblieben ist. Kinder umschreiben oft ihre Gefühle, die sie aufgrund eines Erlebnisses haben, ausführlich und umschreibend, weil sie noch kein einzelnes Wort für das haben, was in ihnen vorgeht. Wer eine fünfminütige Erzählung zunächst kurz zusammenfasst («dann bist du jetzt enttäuscht, weil dein bester Freund nicht mit dir spielen wollte»), zeigt, dass er zugehört und verstanden hat.

Wir sind uns aus dem eigenen Alltag auch daran gewöhnt, auf Probleme anderer mit klaren Verhaltenstipps oder «pfannenfertigen» Lösungen zu reagieren. Dabei beziehen wir uns auf die gesammelte Erfahrung aus den vielen vergleichbaren Fällen, die wir schon erlebt haben. Diese Erfahrung fehlt Kindern, deshalb können sie mit scheinbar einfachen Rezepten wenig anfangen. Zudem ist das eine einseitige Art der Kommunikation: Hier das Kind, das etwas beschäftigt, dort die Eltern, die sagen, was nun zu tun ist. Kinder möchten durchaus eigene Lösungen finden, und es ist auch wichtig, dass sie dazu Gelegenheit erhalten, um selbstständiger zu werden. Die eigene Meinung der «Grossen» soll durchaus einfliessen, aber nicht gleich am Anfang. Das Kind soll die Chance erhalten, innerhalb des Gesprächs selbst Optionen zu entwickeln.

Fünf Fähigkeiten

Die Autorinnen Elaine Mazlish und Adele Faber haben in ihrem Standardwerk «So sag ich’s meinem Kind» fünf Fähigkeiten aufgelistet, die Eltern helfen, ein Klima aufzubauen, das der Kommunikation dient:

    • Beschreiben, was man sieht: Wenn ein Kind ständig das Licht im Badezimmer brennen lässt, nützt es wenig, es dauernd abstrakt aufzufordern, doch bitte jeweils das Licht auszumachen. «Ich sehe gerade, dass das Licht im Bad wieder brennt, obwohl keiner drin ist» ist eine bildhafte Beschreibung, die Kinder eher akzeptieren.
    • Informieren statt anklagen: «Du hast wieder vergessen, die Butter in den Kühlschrank zu stellen» ist eine Missfallensäusserung, die nicht dazu führt, dass sie verinnerlicht wird. «Wenn du die Butter nicht in den Kühlschrank stellst, wird sie weich und schlecht, dann können wir sie nicht mehr essen» ist eine wertvolle Information, die nachvollziehbar ist.
    • Kurz statt ausführlich: Die Aufmerksamkeitsspanne von Kindern ist bei Themen, die ihnen nicht am Herzen liegen, sehr kurz. «Jetzt ab ins Bett» ist wirksamer als lange Ausführungen darüber, warum es wichtig ist, nun ins Bett zu gehen, weil am nächsten Tag wieder Schule ist und es gestern schon spät wurde.
    • Über Gefühle reden: Was uns selbstverständlich scheint, ist es für Kinder nicht zwingend. Deshalb reagieren sie eher auf Anweisungen, wenn wir sagen, was es uns bedeutet. «Ich mag es nicht, wenn du deine Spielsachen in unserem Schlafzimmer aufbaust, weil ich es dort gerne ordentlich habe» ist für Kinder besser nachvollziehbar als ein reines Verbot.
    • Eine Nachricht schreiben: Ein Zettel mit einer Bitte wirkt oft Wunder, etwa bei kleinen Aufgaben, zum Beispiel: «Liebe Anna, ich weiss, dass du heute viele Hausaufgaben hast, aber ich wäre froh, wenn du danach den Abfall runterbringst.»

Übrigens: Kinder hören sehr viel besser, als wir oft denken. Nicht selten sprechen wir über Kinder, die im Zimmer nebenan spielen, als seien sie nicht hier. So hören sie unter anderem auch Dinge, die sie nicht mitkriegen sollten oder erfassen Teile des Gesagten, die sie nicht einordnen können. Ohnehin sollten wir mehr mit unseren Kindern als über sie sprechen. Wer das konsequent tut, wird staunen, welche spannenden Gedankengänge und Ideen in einem Kinderkopf schlummern – und wie sie uns damit inspirieren können.

(Erstellt von Stefan Millius)

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