Wenn die Hausaufgaben zum Teufelskreis werden

Sinnvoll oder nicht? Wie viele sind zu viel? Sollen Eltern dabei helfen oder nicht? Die Meinungen zum Thema Hausaufgaben gehen stark auseinander und sorgen nicht nur innerhalb der Familie immer wieder für Diskussionen. Auch eine Abschaffung ist immer mal wieder ein Thema. Cornelia Freuler beschäftigt sich als Lerncoach seit Jahren auch mit dem Thema Hausaufgaben und kann dabei auf ihre Erfahrung als ehemalige Lehrerin auf allen Schulstufen zurückgreifen sowie als Mutter von zwei mittlerweile erwachsenen Söhnen. Im Interview mit dem FamilienSPICK beleuchtet Lerncoach Cornelia Freuler verschiedene Aspekte rund um die Hausaufgaben und gibt auch Tipps.

Cornelia Freuler, wieso sind Hausaufgaben so ein rotes Tuch und sorgen häufig für Stress in der Familie?
Oft fühlen sich die Eltern für die pünktliche und perfekte Erledigung der Hausaufgaben verantwortlich und setzten sich und ihre Kinder damit unter Duck. Bereits zu Beginn der Hausaufgaben herrscht dann eine angespannte Stimmung und die Kinder fühlen sich von den Eltern gegängelt. Viele Kinder haben im Laufe der Zeit gemerkt, dass sie die ungeliebten Hausaufgaben hinauszögern können, wenn sie ihre Eltern in Diskussionen verwickeln können.

Was heisst das konkret?
Die Eltern beginnen zu argumentieren und halten so das Feuer am Brennen. Die Argumente sind dabei wie der Sauerstoff, nimmt man diesen weg, erlischt das Feuer schnell. Zudem haben wir beim Argumentieren meist unsere Erwachsenenperspektive im Kopf – das Kind soll lernen, damit es später erfolgreich im Beruf ist, weil es wichtig ist, weil man in unserer Gesellschaft lesen, schreiben und rechnen können muss – all diese Argumente interessieren ein siebenjähriges Kind kaum.

Gibt es noch andere Gründe, die für Stress in Bezug auf die Hausaufgaben sorgen?
Ein weiterer Grund kann darin liegen, dass die Kinder nach einem langen Schultag nach Hause kommen und sie das Zuhause mit Freizeit und Entspannung verbinden. Die Ablenkung zu Hause ist viel grösser und die Motivation, sich hinter die langweilige Arbeit zu machen, deshalb relativ klein.

Was sind Ihre Erfahrungen: Finden alle Kinder Hausaufgaben doof oder gibt es auch viele, die sie mit links und ohne Murren erledigen?
Es gibt diese Kinder tatsächlich, die sich ohne Murren und Motzen hinter die Aufgaben machen. Ich erlebe auch immer wieder Kinder, vor allem jüngere, die sich über Hausaufgaben freuen und enttäuscht sind, wenn sie wenig oder keine Aufgaben bekommen.

Was bringen Hausaufgaben?
Klassische Hausaufgaben können tatsächlich etwas bringen. Einerseits führt die zusätzliche Auseinandersetzung mit dem Schulstoff zu einer Wissensvertiefung und Automatisierung, zudem kann der eigene Lernstand überprüft werden und individuelle Lerntechniken entwickelt werden. Anderseits schulen Hausaufgaben aber auch andere Qualitäten wie zum Beispiel Zeitmanagement, Selbstdisziplin, Durchhaltevermögen, Pflichtbewusstsein, Frustrationstoleranz und Selbstständigkeit. Diese Qualitäten sind im Laufe des Lebens mindestens genauso wichtig wie der erlernte Schulstoff.

Von der Elternseite hört man bisweilen auch, dass die Kinder doch in der Schule schon genug gefordert werden und dann zu Hause nicht noch Hausaufgaben machen sollten. Wie sehen Sie das?
Diese Haltung ist durchaus nachvollziehbar, denn Freizeit ist auch für Kinder und Jugendliche sehr wichtig und wertvoll. Schwierig finde ich es jedoch, wenn die Eltern diese Einstellung vor den Kindern äussern. Solange die Hausaufgaben zum Schulalltag gehören, sollten die Eltern mit ihrer Meinung gegenüber den Kindern zurückhaltend sein. Sie sind ihre Vorbilder und machen es damit den Kindern unnötig schwer, sich für die Hausaufgaben zu motivieren.

Die Kinder hätten ohne Hausaufgaben aber mehr Freizeit …
Das stimmt. Es scheint mir aber angebracht zu hinterfragen, welche Qualität die dazugewonnene Zeit haben würde. Wird sie beispielsweise genutzt, um Freundschaften zu pflegen, um das freie Spiel zu fördern oder sich bei einer Organisation zu engagieren, dann wird das Kind in seiner Persönlichkeit gestärkt. Wird die freie Zeit aber genutzt, um einen weiteren Förderkurs zu buchen oder noch länger vor den Bildschirmen sich selbst überlassen zu sein, dann können Hausaufgaben durchaus eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung bedeuten.

Was halten Sie davon, Hausaufgaben abzuschaffen?
Diese Debatte wird in regelmässigen Abständen seit Jahren immer wieder geführt und es gibt viele Argumente für und genauso viele gegen Hausaufgaben. Dass die Diskussion in letzter Zeit wieder neu entfacht wurde, finde ich gut, denn die Lebensumstände haben sich verändert. Es zeigt sich beispielsweise, dass Kinder sehr unterschiedlich unterstützt werden (können) und somit die Chancengleichheit gefährdet ist. Zudem tragen viele Familien täglich Konflikte wegen der Hausaufgaben aus und dies wird zu einer grossen Belastung für die Eltern-Kind-Beziehung und raubt vielem Kindern die Lernmotivation.

Würde das nicht eher für eine Abschaffung der Hausaufgaben sprechen?
Interessant finde ich, dass 1993 die Hausaufgaben im Kanton Schwyz abgeschafft wurden und nur vier Jahre später auf Druck der Eltern wiedereingeführt wurden. Für viele Eltern bilden die Hausaufgaben ein Fenster in die Schule, das sie nicht missen möchten. Es gibt ihnen einen Einblick, was in der Schule so läuft. Wie Sie sehen, kann ich diese Frage nicht eindeutig mit Ja oder Nein beantworten. Für mich ist entscheidend, welche Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Helfen oder nicht helfen bei den Hausaufgaben. Hier geraten Eltern oft in einen Clinch, vor allem, wenn das Kind nicht motiviert ist oder etwas nicht versteht. Was raten Sie hier?
Tatsache ist, dass je nach Umfrage 60% – 93% der Eltern bei der Erledigung der Hausaufgaben helfen. Dabei wäre ein weiterer Zweck der Hausaufgaben, dass sie der Lehrperson Hinweise geben, was das einzelne Kind kann. Wenn die Eltern jeweils helfen und das Kind dazu anleiten, diese zu verbessern, kann die Lehrperson nur erkennen, wie gut die Eltern das Thema verstanden haben. Helfen in einer Klasse fast alle Eltern, führt dies teilweise dazu, dass die Lehrperson den Eindruck bekommt, dass sie schwierigere Hausaufgaben geben darf und sie mit dem Stoff rascher vorwärtsgehen kann. Dadurch nimmt der Druck für alle Kinder zu – woraufhin die Eltern oft noch mehr helfen. Ein Teufelskreis!

Also in dem Fall lieber nicht helfen bei den Hausaufgaben?
Manche Kinder reagieren unmotiviert und frustriert, da sie immer wieder verbessert werden. Sie haben sich Mühe gegeben, sich durchgebissen und sind erleichtert, dass sie es hinter sich haben. Wollen die Eltern nun eine Verbesserung, entwickeln viele Kinder eine stärkere Abneigung gegen die Hausaufgaben. Einige lassen sich mit der Zeit überhaupt nicht mehr über die Schultern schauen, andere werden sehr unselbstständig und fordern mit der Zeit, dass die Eltern ständig nebendran sitzen und ihnen helfen, alles von Beginn an richtig zu machen. Es spricht somit einiges dafür, sich mit Helfen zurückzuhalten!

Sollten Eltern dies auch direkt mit der jeweiligen Lehrperson thematisieren?
Manchmal gibt es Lehrpersonen, die sich eine aktivere Mitwirkung der Eltern wünschen. Es ist hilfreich, die Lehrperson beim ersten Elternabend des Schuljahres zu fragen, inwieweit Sie als Mutter oder Vater bei den Hausaufgaben eingreifen sollen.

Manchmal hat das Kind auch einfach keine Lust, selber die Hausaufgaben zu machen und fordert in erster Linie die Aufmerksamkeit der Eltern. Wie reagiert man in dieser Situation am besten?
Dieses Kind kann die Hausaufgaben sehr wohl selbstständig lösen, es möchte bloss nicht alleine sein. In diesem Fall ist es hilfreich, wenn man sich sagt «okay, mein Kind ist einfach nicht gerne alleine». Eine gute Möglichkeit wäre dann, wenn man das Kind neben sich die Hausaufgaben machen lässt. Man könnte z. B. gemeinsam am Küchentisch sitzen, Sie erledigen Ihre Mails und das Kind seine Hausaufgaben. Es ist dabei von Vorteil, wenn Sie etwas wählen, bei dem Sie sich konzentrieren müssen. Wenn Sie bügeln, ist das Kind überzeugt, Sie trotzdem ständig fragen zu können. Sagen Sie Ihrem Kind «schau, du kannst die Hausaufgaben gerne neben mir machen, aber ich muss mich jetzt eine Viertelstunde auf meine Arbeit konzentrieren können.»

Wie bringt man dem Kind auf eine gute Weise bei, möglichst selbstständig zu arbeiten?
Unselbstständigkeit hat viele Vorteile für das Kind. Die Hilfe der Eltern macht die Arbeit leichter und gibt ihm Sicherheit. Vor allem bekommt es bei den Hausaufgaben oft die Aufmerksamkeit, die es sich wünscht. Was aber sind die Vorteile von Selbstständigkeit? Da geht die Rechnung für das Kind oft nicht auf. Sobald es selbstständig arbeitet, wird es anstrengend, gleichzeitig wird es von den Eltern ignoriert. Eltern müssen Kindern also zeigen, dass Selbstständigkeit Vorteile hat.

Wie machen sie das am besten?
Eine effektive Strategie besteht darin, dass Eltern mit dem Kind zusammen die Hausaufgaben planen. Was ist einfach und leicht zu bewältigen? Was ist schwieriger und damit herausfordernder? Nun wird das Kind aufgefordert, mit den leichteren Aufgaben selbstständig zu beginnen. Die Zeit, in der selbstständig gearbeitet wird, wird gestoppt. Diese Zeit darf das Kind dann in gemeinsame Spielzeit mit den Eltern umwandeln. Vergessen Sie nicht, das Kind während des selbständigen Arbeitens gezielt zu loben. «Wow, so weit hast du es alleine geschafft!» Viele Eltern sind froh, wenn das Kind endlich mit Arbeiten beginnt und tappen dabei in die Ignorierfalle! Sie verpassen es, das Kind in dem Moment zu loben, in dem es das erwünschte Verhalten zeigt und damit dieses Verhalten zu stärken.

Was macht für Sie ein gutes Lernklima aus?
Gute Stimmung ist ganz wichtig. Eltern sollten möglichst positiv bleiben, auch wenns schwerfällt. Schlechte Stimmung bei den Hausaufgaben macht den nächsten Tag noch schwerer. Für gute Atmosphäre sorgen auch gute Rahmenbedingungen wie zum Beispiel ein sinnvoll eingerichteter Arbeitsplatz oder der geeignete Zeitpunkt. So können sich viele Kinder schlecht allein im Kinderzimmer konzentrieren. Lieber sind sie in der Nähe der Eltern, am Küchentisch zum Beispiel. Notwendig für gute Stimmung ist auch, Kindern Verständnis entgegenzubringen.

Gibt es für Sie Lernräume, die geeigneter sind, um die Hausaufgaben zu machen als andere?
Die Eltern sollten darauf achten, dass ihr Kind einen hellen Arbeitsplatz hat, der zweckmässig eingerichtet ist und alle benötigten Materialien innerhalb Armlänge bereitliegen. Alles Unnötige sollte vom Arbeitsplatz weggeräumt werden.

Was heisst das konkret?
Die Umgebung sollte zum Beispiel frei von Spielsachen sein, da diese für das Kind äusserst spannend sind. Auch Geschwister, Fernseher, Handy, Computer und Radio lenken ein Kind stark ab. Eltern sollten versuchen, sich in das Kind hineinzuversetzen, um zu schauen, ob der Lernort relativ frei von emotionaler Ablenkung ist. Am besten setzen sie sich einmal an den Arbeitsplatz ihres Kindes und fragen sich: «Was sehe ich? Was höre ich? Was davon wäre für mein Kind spannend?» – und entfernen danach diese Störquelle.

Aber wenn es auf einmal ganz still ist, kann das ein Kind auch irritieren …
Es muss natürlich nicht mucksmäuschenstill sein. Eine gleichmässige Geräuschkulisse, wie z.B. Instrumentalmusik, eine laufende Abwaschmaschine oder das Plätschern von Wasser, kann das Aktivierungsniveau anheben und ein konzentrationsförderliches Arbeitsklima schaffen. Hier gilt es, auszuprobieren. Nicht für alle gilt das gleiche!

Wie viel Hausaufgaben sind sinnvoll?
Eine Faustregel geht von 10 Minuten pro Schulstufe aus. Das heisst, ein Erstklässler hätte 10 Minuten Hausaufgaben täglich und mit jedem Schuljahr kommen 10 Minuten dazu.

Ab wann sind es zu viele?
Wenn ein Kind regelmässig 1½- bis 2-mal so lange braucht, wie die Faustregel besagt und man den Eindruck hat, das Kind sei ständig überfordert.

Und was sollen Eltern tun, wenn das Kind länger an den Hausaufgaben sitzt als von der Lehrperson vorgegeben?
Gerade bei Grundschulkindern kann es vorkommen, dass trotz vernünftigen Arbeitens schon mal die Zeit um ist, bevor alle Aufgaben gelöst sind. Für viele Lehrer ist dies jedoch kein Problem, sondern völlig in Ordnung, denn sie nutzen dies, um am Anteil der nicht geschafften Aufgaben den Lernstand der Kinder zu messen. Eine gezielte Rücksprache mit den Lehrern hilft hier, falsche Erwartungen geradezurücken und eine Vorgehensweise zu finden, die das Kind nicht frustriert und das Selbstvertrauen untergräbt.

So unterstützen Sie ihr Kind am besten bei den Hausaufgaben:

Das motiviert:
+ Routine
+ Regel mässige kurze Pausen – Konzentrationsspanne beachten
+ Für eine gute Stimmung sorgen
+  Interesse zeigen
+ Verständnis entgegenbringen
+ Ruhe bewahren
+ Gezieltes, ehrliches Lob
+ Kleine Fortschritte entsprechend würdigen
+ Gemeinsam planen
+ Hilfe zur Selbsthilfe, mehr fragen als erklären
+ Die Verantwortung beim Kind und der Schule lassen
+ Für einen geeigneten Arbeitsplatz sorgen
+ Geeigneten Zeitpunkt wählen
+ Als Eltern am gleichen Strick ziehen

Das demotiviert:
− Nörgeln und kritisieren
− Argumentieren und sich in Diskussionen einlassen
− Zu hohe Erwartungen
− Vergleiche mit Geschwisterkindern oder Mitschülern
− Ungeduld
− Alle Fehler verbessern lassen
− Dem Kind keine Pausen gönnen
− Kein Lob
− Den Sinn der Sache in Gegenwart des Kindes anzweifeln
− Auf die Lehrperson schimpfen
− Ablenkung durch emotionale Störquellen
− Den falschen Zeitpunnt wählen
− Zeitdruck
− Ständiges Danebensitzen

Weitere Infos rund ums Lernen unter www.lernfux.ch

(Erstellt von Tanja Millius)

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