Hurra, die Schule beginnt, jetzt bin ich gross
Für Kinder und Eltern ist die Einschulung eine grosse Sache. Damit das Kind auch an den weiteren Tagen gern in den Kindergarten oder die Schule geht, braucht es gar nicht viel. Meistens ist sogar weniger mehr.
«Landläufig ist unter Schuleintritt der Start in die 1. Klasse gemeint. In den meisten Kantonen beginnt die Einschulung jedoch bereits mit dem Kindergarten», erklärt Urs Gadient, diplomierter Psychologe FH im Schulpsychologischen Dienst des Kantons St. Gallen. Bevor das Kind ins Schulalter kommt, lohne es sich deshalb, sich vorab zu informieren, wie die Schulgemeinde organisiert ist und welches Förderangebot besteht, ergänzt der Psychologe. Allein schon der Stichtag für die Einschulung der Kinder variiert von Kanton zu Kanton zwischen dem 30. April und dem 31. Juli, was zu fast einem Jahr Altersunterschied innerhalb einer Kindergartengruppe führen kann. «Aber nicht nur das Alter hat einen Einfluss auf die Entwicklung eines Kindes. Diese Unterschiede gehören zu den grossen Herausforderungen der Kindergärtnerinnen», beschreibt Urs Gadient.
Mit vier Jahren schulpflichtig
Durch die Ausbildung und Sensibilisierung der Kindergärtnerinnen können sie früh erkennen, ob ein Kind in einem oder mehreren Bereichen gefördert werden sollte. Zudem sei der Zugang zu heilpädagogischen Angeboten heute viel leichter, da Heilpädagogen die Kindergärten und Schulen unterstützen bei der Identifikation eines Entwicklungsrückstandes, schildert der Psychologe.
Bei Sprachentwicklungsverzögerungen zum Beispiel kann eine logopädische Therapie sehr viel bewirken. Oder motorische Schwierigkeiten können durch eine Ergo- oder Physiotherapie behandelt werden. Wer denkt, dass heute mehr Kinder zu Spezialisten geschickt werden als früher, dem entgegnet Urs Gadient, dass wir heute lediglich sensibler und informierter seien als die Lehrpersonen von früher». Deshalb könne schon früh reagiert und ein Kind speziell gefördert werden.
Fördern und in den Familienalltag integrieren
Bereits nach der Geburt fängt im Idealfall die Förderung des Kindes an. «Kinder sind von Natur aus neugierig und lernen durch Imitation. Dies hilft ungemein bei der Entwicklung. Binden Sie das Kind in Ihren Alltag ein und verbringen Sie Zeit mit ihm», so der Tipp von Urs Gadient. Beim Kochen oder im Haushalt altersgerechte Aufgaben übernehmen lassen, fördert die Motorik der Kinder. Basteln, Malen und Zeichnen wiederum sind gut für die Kreativität und Feinmotorik, während Toben auf dem Spielplatz die Grobmotorik des Kindes bildet. Vorlesen, generell mit dem Kind reden und erklären, was passiert, fördert die Sprachfähigkeiten des Kindes. «Wer von Beginn an das Kind in seiner Entwicklung unterstützt, benötigt häufig keine zusätzlichen Förderkurse», sagt Urs Gadient und ergänzt: «Was es braucht, ist Zeit, die man mit dem Kind verbringt, um es spielerisch Handlungen erleben zu lassen.»
Besonders im Kindergarten seien die Unterschiede der Kinder enorm, seien es Unterschiede in der Entwicklung, der Förderung oder den Sprachfähigkeiten. Die Hauptaufgabe des Kindergartens ist es, die Kinder auf die Schule vorzubereiten. Dies tue er spielerisch in sozialer, emotionaler, kognitiver, sprachlicher und motorischer Hinsicht höchst integrativ und umfassend, erklärt Urs Gadient.
Dem Charakter des Kindes gerecht werden
Jeder Mensch ist anders, und das bereits von Geburt an. Gemeint ist der Charakter. Dieser entwickelt sich über die Lebensjahre immer weiter und prägt das Verhalten des Kindes. «Beobachten Sie Ihr Kind möglichst objektiv und vermeiden Sie es, ein Verhalten vorschnell zu interpretieren oder gar eigene Sichtweisen auf das Kind zu projizieren», rät der Psychologe. So kann auf das Kind individuell eingegangen werden. Ein scheues oder ängstliches Kind benötige etwas mehr Unterstützung als ein draufgängerisches Kind, das vielleicht eher etwas zurückgenommen werden muss. Der Tipp von Urs Gadient: «Das Kind leitet uns durch seinen Charakter in der Unterstützung. Achten Sie beim Kind darauf, wer es ist und was es braucht. Beim einen Kind müssen die Zügel angezogen, beim anderen dafür locker gelassen werden.»
Das Kind eigene Erfahrungen machen lassen
«Meist liegen zwischen dem eigenen Schulbeginn und dem des Kindes 20 Jahre oder mehr. In dieser Zeit hat sich auch die Schule geändert. Deshalb sollten Eltern oder generell Erwachsene nicht ihre Schulerfahrungen auf das Kind übertragen», sagt Urs Gadient. Es sollte die Gelegenheit haben, seine eigenen Erfahrungen zu machen. «Nehmen Sie die Emotionalität heraus und lassen Sie den Schulbeginn einfach Alltag werden. Beobachten Sie Ihr Kind bei seinen Erfahrungen. Seien Sie interessiert und fragen Sie nach», sagt dazu Urs Gadient. Beobachten und nachfragen, wie es dem Kind geht, ist wichtig, um einzugreifen, sollte das Kind eine Förderung brauchen oder eine andere Form der Unterstützung, damit es positive Schulerfahrungen sammeln kann.
Unsicherheiten nehmen und Selbstständigkeit fördern
Bevor ein Kind eingeschult wird, sei es in den Kindergarten oder die Schule, finden heute Besuchstage statt, an denen das Kind die Räume und die Lehrperson kennenlernen kann, schildert der Schulpsychologe. So sei die Umgebung schon vertraut, wenn es dann richtig losgeht. Zudem ist es ratsam, dass die Eltern mit den Kindern den Schulweg mehrmals zurücklegen. Und dies am besten zu den Zeiten, an denen das Kind später auch unterwegs sein wird, empfiehlt das bfu, Beratungsstelle für Unfallverhütung. So sind die Kinder mit dem dichten Verkehr vertraut und können entsprechend reagieren. Die Experten raten, Kinder den Schulweg allein gehen zu lassen, da dies ihre Selbstständigkeit und Eigenverantwortung prägt. Was sich aber auch lohnt, ist, mit den Eltern anderer Schüler zu vereinbaren, dass die Kinder gemeinsam den Schulweg meistern. Sollte es der Wunsch des Kindes sein, dass man es begleitet, solle man abwägen, was dem Kind hilft. Man sollte nicht zu fordernd sein, wenn es für das Kind Stress bedeutet, den Weg allein zu gehen. Es ist auch gut möglich, die Strecke, auf der man das Kind begleitet, täglich zu verringern, bis es den Weg allein respektive mit anderen Kindern geht, rät eine Bloggerin in einem Mami-Blog.
Vor dem Schulbeginn
Neben dem Schulweg benötigt das Kind für den Kindergarten oder die Schule diverse Materialien. Dabei werden die Eltern mit Listen unterstützt. Was wird an Material von der Schule gestellt und was müssen die Eltern individuell besorgen? Dies kann ebenfalls von Schulgemeinde zu Schulgemeinde variieren.
Besonders wichtig sei es, den richtigen Schulthek oder -rucksack zu finden, so ein Beitrag auf familienleben.ch: Je älter die Kinder werden, desto mehr Bücher, Hefte und Mäppchen haben sie möglicherweise dabei. Das solle schon am Anfang bedacht werden. Besonderer Wert müsse auch auf den Tragekomfort und die Verteilung des Gewichts gelegt werden. Ebenfalls sei es wichtig, dass der Schulthek mit dem Kind mitwachsen könne. Was aber nicht ausser Acht gelassen werden darf, ist die Meinung des Kindes. Es sollte beim Kauf des Schultheks, Etuis und Turnsacks miteinbezogen werden und schliesslich aussuchen dürfen, welche Farbe oder Motive es sein sollen, rät eine Bloggerin.
Ein weiterer Punkt ist die Anschaffung eines Schreibtisches, damit das Kind einen ruhigen Platz hat, um die Hausaufgaben zu erledigen. Ein Tisch und ein Stuhl, der mit dem Kind mitwächst, ist auch hier wichtig. Mit einem Regal und Boxen lernt das Kind, seinen Schreibtisch in Ordnung zu halten, beschreibt ein Beitrag auf lernfoerderung.de, der Beratung bei Fragen rund um Familie, Schule, Lernen und Erziehung.
Mittlerweile werden auch gesunde Snacks für die Pausen vorgeschlagen. Netdoktor.ch empfiehlt, sich allenfalls Alternativen zu überlegen. So gäbe es zum Beispiel zu Vollkorn-Crackern auch Reiswaffeln. Besonders bei den Lebensmitteln sollte man auch im Vorfeld schauen, wie die Snacks verpackt werden, damit das Kind auch nach dem Toben keinen Fruchtmatsch aus dem Schulthek oder Rucksack nimmt, beschreibt eine Bloggerin.
Lernen ist Beziehung
Neben den Eltern spielt die Lehrperson eine wichtige Rolle im Leben des Kindes. «Grundsätzlich wollen Eltern und Lehrperson nur das Beste für das Kind. Jedoch sind die Sichtweisen dabei möglicherweise unterschiedlich», erklärt Urs Gadient. Die Lehrperson würde dabei besonders auf die Fähigkeiten oder den Stand des Kindes achten, während die Eltern oft emotional sehr eng verbunden seien. Hier rät der Psychologe Urs Gadient: «Ein Kind verhält sich in der Schule teilweise anders als zu Hause. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern und Lehrperson sich das Kind gegenseitig im jeweiligen Umfeld erklären.» Das sei besonders dann unerlässlich, wenn es um die Beurteilung der Leistungen geht. «Hier ist es zudem wichtig, dass alle Parteien sachlich bleiben und eine Kritik nicht gleich als persönlichen Angriff verstehen», ergänzt Urs Gadient.
Sollte das Kind nach Hause kommen und immer wieder über die Lehrperson schimpfen, sollte nicht sofort eingegriffen werden, sondern das Kind darin unterstützt werden, wie es den Konflikt selbst lösen könne. «Das Kind kann so neue Seiten an sich kennenlernen, um sich zu integrieren», kommentiert der Psychologe. Sollte der Konflikt aber nicht gelöst werden, dann müsse unbedingt das Gespräch mit der Lehrperson gesucht und gemeinsam Ziele und ein Zeitraum festgelegt werden, nach dem die Situation neu beurteilt wird. Unsere Volksschule erwartet von den Kindern jeden Alters ein gewisses Mass an Leistung. Erfolgsdruck und Erfolgserwartungen dürfen dabei aber nicht in Stress für das Kind ausarten. Auch hier rät der Psychologe zu einem gewissen emotionalen Abstand, um das reale Kind zu sehen und sich nicht an einer Projektion festzuklammern.
Ständige Erreichbarkeit durch WhatsApp-Gruppen
Eine neuere Form von Konflikt kann durch die WhatsApp-Gruppen aufkommen, in denen Eltern und Lehrpersonen sich austauschen, sieht der Urs Gadient. Wie alle anderen auch, müssen Lehrpersonen nicht jederzeit erreichbar sein. Dies gilt auch für die Eltern. Schier endlose Diskussionen über WhatsApp können die Eltern unter Umständen negativ beeinflussen. Was, wenn sich ein Elternteil bewusst dem Ganzen entzieht? Was hat das dann für eine Auswirkung auf das Kind? Hier ist oftmals auch weniger mehr. Man sollte versuchen, sich knapp zu halten und sich auf das Wesentliche zu fokussieren. Vor WhatsApp gab es Telefonlisten, bei denen jeder wusste, wen er zu informieren hatte und so konnte man sicherstellen, dass alle informiert wurden. Mit WhatsApp können direkt alle informiert werden, was klar ein Vorteil ist, aber auch hier sollte man sich genau überlegen, was und wie über WhatsApp kommuniziert wird.
Erfolgreiche Schulzeit
Kinder möchten entdecken, herausfinden und lernen. Das sei der Motor der Entwicklung. Besonders der Übergang vom Kindergarten in die Schule ist eine Herausforderung für Kinder. Auch wenn so ein Übergang zum einen neugierig macht, auf das, was da Neues wartet, macht das Unbekannte zum andern ängstlich. Hier können Eltern ihre Kinder begleiten, egal in welchem Alter oder Schuljahr, kommentiert der Psychologe.
Damit das Kind nicht nur erfolgreich in die Schule startet, sondern auch die gesamte Schulzeit erfolgreich erlebt, gibt es verschiedene Aspekte zu beachten. Auch hier sollte man sich laut Gadient von seinem Kind leiten lassen. Dem Kind Raum und Zeit geben, sich selbst zu entwickeln und zu entdecken, was es erreichen möchte.
«Wir leben in einer Leistungsgesellschaft und mit dem Schulbeginn wird die Leistung des Kindes beurteilt. Bisher wurden den Kindern im Kanton St. Gallen ab der 3. Klasse der Primarschule zwei Zeugnisse pro Schuljahr ausgestellt. In der 2. Klasse erhielten sie nur eines. Mit dem kommenden Schuljahr wird es ab der 2. bis zur 6. Klasse nur noch ein Zeugnis pro Schuljahr geben», schildert Urs Gadient. So können sich Kompetenzen ein Jahr bilden und Prozesse festigen. Ganz kann eine Leistungsbeurteilung nicht wegfallen, da es auch eine Aufgabe der Volksschule sei, zu selektionieren, welcher Bildungsweg für welches Kind geeignet sei, kommentiert der Psychologe weiter.
Besonders wichtig dürfte es für Eltern sein, ihre Kinder keinem überhöhten Leistungsdruck auszusetzen, schliesst Urs Gadient. Ausserschulische Aktivitäten sollten so eingeplant werden, dass das Kind auch Erholungsphasen hat. Wenn Eltern dann auch noch mit ihren Kindern kommunizieren und ihre Bedürfnisse und Empfindungen abholen, steht einer erfolgreichen Schulzeit fast nichts mehr im Wege. ++
Urs Gadient, Kinder- & Jugendpsychologe, SBAP, arbeitet beim Schulpsychologischen Dienst des Kantons St. Gallen auf der Regionalstelle Sargans. Er ist seit 24 Jahren als Schulpsychologe tätig und berät Eltern, Lehrpersonen, Schulleitungen u. a. auch bei Fragen im Hinblick auf die Einschulung und den Übertritt vom Kindergarten in die Schule.
Text: Nadja Rohrer
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