Kindermusik ist mehr als «Lalala»

Kinder lieben Musik. Vor allem solche, die eigens für sie gemacht wird. Kaum in einem anderen Land gibt es gemessen an der Grösse eine solche Dichte von Kinderbands, die in verschiedensten Stilrichtungen Kinderohren beglücken, wie in der Schweiz. Aber was ist das Geheimnis eines guten Kindersongs – und wo liegt der Reiz für einen Musiker, sich voll und ganz den Kleinen und Kleinsten zu verschreiben?

Das kann so manch einer und eine nicht verstehen: Dass sich jemand mit einem grossen Talent und viel Fleiss jahrelang abmüht, um sein Instrument immer besser zu beherrschen – und danach Kinderlieder spielt. Hinter dem Gedanken stecken gleich einige Vorurteile. Zum einen ist ein klassisches Kinderlied, das man zur Beruhigung am Wickeltisch summt, nicht dasselbe wie Musik für Kinder. Und zum anderen ist es keineswegs eine geringere Herausforderung, eine Kinderschar zu begeistern als ein erwachsenes Publikum.

Kritisches Publikum

«Hänschen klein» und «Alli mini Entli» in Ehren: Dem Alter, in dem diese Tonfolge reicht, sind Kinder schnell entwachsen. Die Liebe zur Musik liegt praktisch allen Buben und Mädchen im Blut, später kommt die Freude an Geschichten dazu. Eine Kinderband – oder ein einzelner Musiker –, die Kinder begeistern will, muss alle Register ziehen. Die Werbeindustrie kann davon ein Lied singen: Kinder sind keineswegs leicht zu erreichen. Genau wie bei Bands für «Grosse» geht es darum, ein Erlebnis zu schaffen, das den Wunsch nach «mehr davon» weckt. Kommt dazu, dass Kinder nichts vorspielen oder aus reiner Diplomatie Interesse heucheln. Während unsereiner nach einem eher mässigen Konzert über einzelne Aspekte des Gebotenen fachsimpelt, zeigen Kinder schonungslos, was ihnen gefällt und was nicht.

Nicht selten haben die Musiker von Kinderbands einen pädagogischen Hintergrund. Das ist wohl kein Zufall. Lehrerinnen und Lehrer kommen von Berufes wegen in Berührung mit Musik und wissen auch, was Kinder wollen – und sie pflegen eine kindergerechte Sprache. Gerade die Texte sind ein Balanceakt: Sie sollen einfach und eingängig sein, aber nicht etwa plump und banal. Kinder mögen es nicht, wenn sie unterfordert werden, sie wollen überrascht werden.

Verschiedene Genres

Als «Geburtsstunde» des eigenständigen Genres «Kindermusik» gilt in der Schweiz bis heute «Heicho» der Band «Schtärneföifi». Genau wie oft bei erwachsener Musik war hier der eingängige Refrain, der einen noch Tage später verfolgte, das Erfolgsrezept. Das ist über 20 Jahre her, und seither haben sich neben «Schtärneföifi», die nach wie vor erfolgreich unterwegs sind, eine Reihe von Formationen etabliert. Sie machen deutlich, dass auch bei Musik für Kinder Vielfalt möglich und nötig ist. Der Barde Linard Bardill beispielsweise ist eher ein Freund leiser Töne und poetischer Geschichten, eine Art Märchenerzähler mit Gitarre. Die Band «Silberbüx» setzt auf eine Art «Konzeptmusik». Auf ihrer vergangenen Tour «Gheimagente» erzählten sie eine fortlaufende Story mit verschiedenen Songs, die auch vom Genre her munter hin und her hüpfen. Kein Wunder: Die vier Bandmitglieder haben an der Zürcher Hochschule für Künste studiert und danach erst mal gemeinsam Jazz gespielt. Ein weiterer Beleg dafür, dass keineswegs nur «verhinderte» Musiker, die höchstens drei Akkorde beherrschen, aus Not Kindermusik machen. Wer genau hinschaut, merkt schnell, dass jeder Einzelne des Quartetts problemlos «ernsthafte» Musik machen könnte. Allerdings hat «Silberbüx» früh verstanden, dass Kindermusik eben durchaus eine ernste Angelegenheit ist.

Und es ist auch ein Business. Der Liedermacher Andrew Bond, der in keiner Hitparade auftaucht, hat über 700 000 Tonträger verkauft und ist bestens im Geschäft. Seine melodiösen Kompositionen mit witzigen Texten sind ein Dauerbrenner bei Kindern. Das Duo «Billy & Benno» verbindet Musik mit komödiantischen Einlagen und einer humoristischen Aufmachung. Auch das eine Machart, die bei erwachsener Musik längst zieht. Ob «Kiss», die Band, die die Bühne nie ungeschminkt betrat, nur allein durch ihren Sound so berühmt geworden wäre, ist offen. Auch «Marius & die Jagdkapelle» schaffen einen unverwechselbaren Eindruck durch ihre Aufmachung, die mit den Songs und den Shows einhergeht.

Immer mehr Angebote

Allerdings ist das Geschäft mit Kindermusik kein Selbstläufer. Mehrere Jahre sorgten die Lilibiggs-Kinderfestivals, an denen verschiedene Kinderbands auftraten, für volle Festgelände, dann nahmen die Besucherzahlen ab, und schliesslich wurden die Festivals mit der Migros als Hauptsponsor eingestellt. Das rückläufige Interesse dürfte aber nicht damit zu erklären sein, dass Kinder keine Musik mehr hören wollen. Vielmehr ist es wohl so, dass mittlerweile jedes Wochenende in fast jeder Region kulturelle Events für Familien mit Kindern stattfinden und damit einem solchen Grossanlass das Alleinstellungsmerkmal fehlt. Sogar traditionelle Musikfestivals für Erwachsene haben heute oft noch einen Programmteil für Kinder oder sogar eine eigene kleine Bühne eingeplant.

Natürlich findet Kindermusik nicht nur live statt, sondern auch zu Hause und im Auto ab CD oder MP3-Player. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist es deshalb, mit der Musik nicht nur die kleinen Zuhörer zu begeistern, sondern auch deren Eltern. Denn die müssen ja wohl oder übel mithören. Ein gutes Beispiel, wie das gelingen kann, ist die Berliner Band «Die Gäng». Sie spielt guten, erfrischenden Reggae mit kindergerechten (und dennoch frechen) Texten. Ist die CD im Auto mal eingelegt, ertappt man sich durchaus, wie man sie auch laufen lässt, wenn gar keine Kinder mitfahren … Oder das ebenfalls deutsche Duo «Deine Freunde», bestehend aus einem Hip-Hop-Sänger und einem DJ, dessen Musik nicht viel zu tun hat mit den gängigen Klischees über Kinderlieder, aber bei diesem Publikum auf grosse Begeisterung stösst.

An qualitativ hochstehender Kindermusik, die auch Erwachsene begeistert, herrscht jedenfalls kein Mangel, weder in der Schweiz noch im deutschsprachigen Ausland. Und das ist gut so. Es gibt kaum einen besseren Weg, Kinder an die Musik – und Kultur allgemein – heranzuführen als gute Beispiele, die man selbst live erleben kann.

(Erstellt von Stefan Millius)

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