Schulen im Visier des Kommerzes

Immer mehr Firmen nutzen die öffentlichen Schulen als Plattform für Werbung und Sponsoring. Der Kommerz an Schulen ist jedoch nicht ganz unproblematisch. Der Lehrerverband LCH hat letztes Jahr eine Charta zum richtigen Umgang mit Sponsoring an Schulen verabschiedet.

Alles fährt Ski, Ski fährt die ganze Nation! Dass Kinder von klein auf Ski- oder Snowboardfahren lernen, ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Vor allem Kinder und Jugendliche, die in der Stadt aufwachsen oder über einen Migrationshintergrund verfügen, haben oft keinen Bezug zum Schneesport. Das Projekt «Swisscom Snow Days», initiiert 2003 von Swiss-Ski und weiteren Partnern, ermöglicht vielen Schulklassen einen Erlebnistag in den Bergen. Davon profitiert hat zum Beispiel auch schon Kay, der 13-jährige Sohn von Yasmine Herrmann, Geschäftsstellenleiterin von Schule und Elternhaus Schweiz.

Dass ein Schultag im Schnee von einem Unternehmen gesponsert wird, damit hat Yasmine Herrmann kein Problem. «Grundsätzlich sind wir dem Sponsor für seine Unterstützung dankbar. Unsere Kinder sind es zudem gewohnt, mit Werbung konfrontiert zu werden.» Weniger Freude hätte Yasmine Herrmann hingegen, wenn zum Beispiel Apple einer ganzen Schulklasse Ipads oder Macbooks zur Verfügung stellen würde – vor allem aus technischen Gründen: «Weil die Kinder sich in der Schule an das fremde Betriebssystem gewöhnen und dieses dann zu Hause auch nutzen möchten. Eine Umstellung von Microsoft auf Apple wäre mit Mehrkosten verbunden.»

Von Swisscom bis Victorinox

Die Schule ist für Informatikfirmen ein grosser und interessanter Markt. Entsprechend stark engagieren sie sich in diesem Bereich. Laut einem Bericht von NZZ am Sonntag gibt zum Beispiel Samsung eine halbe Million Franken pro Jahr für IT-Geräte an Schulen aus. Noch stärker engagiert sich offenbar die Swisscom, die den Schulen Leistungen im Wert von jährlich 20 Millionen Franken sponsert.

Auch in anderen Bereichen wird die Schule als Werbe- und Marketingplattform genutzt: kostenlose Smartphones, gratis Pausenmilch und gesponserte Unterrichtsmaterialien. Immer mehr Firmen und Verbände drängen in die Schulen. So will Swissnuclear, dass alle Schüler lernen, Atomstrom sei zweifellos die sicherste und sauberste Energie. Der Nahrungsmittelkonzern Nestlé erteilt Geschichtslektionen über Schokolade. Der Fleischfachverband hofft, dass Kindergärtler mit «Würstli-Memory» ihr Gedächtnis trainieren. Und Victorinox sähe es wohl am liebsten, wenn Mittelschüler im Werkunterricht lernen würden zu schnitzen – natürlich bevorzugt mit Victorinox-Sackmessern, wie das Kommunikationsmagazin «persönlich» berichtete.

«Unsere Kinder haben am UBS-Kids-Sporttag teilgenommen. Seitdem laufen sie mit einem UBS-Turnsack herum und haben ein Badetüchli von UBS», erzählt Yasmine Herrmann.

Vorsicht bei digitalen Lernplattformen

Wie erlebt ein Schulleiter den Einfluss der Wirtschaft auf den Schulbetrieb? Die Schule in Stans etwa betreibt für den gesamten Kanton ein didaktisches Zentrum. Ein Unternehmern aus der Region, das auf den Bau von Motoren spezialisiert ist, subventionierte zusammen mit dem Kanton Nidwalden die Anschaffung von 32 Robotern, die zu Unterrichtszwecken eingesetzt werden. Das pädagogische Unterrichtsmaterial dazu wurde von der PH Luzern mitentwickelt.

«Dieses Beispiel zeigt, wie eine gelungene Kooperation zwischen Unternehmen und der öffentlichen Hand aussehen kann. Dabei tritt die Firma durchaus als Sponsor in Erscheinung, sie verfolgt aber nur bedingt ein eigenes Ziel, vielmehr steht der Nutzen für die Allgemeinheit im Mittelpunkt», sagt Schulleiter Meinrad Leffin. Ansonsten sehe sich die Schule bisher noch wenig mit Sponsoring- und Werbeanfragen konfrontiert – abgesehen von Gutscheinen und Rabatten für den Einkauf von Lebensmitteln für Klassenlager in Grossverteilern oder für den Pausenkiosk.

Meinrad Leffin steht Sponsoring und Werbung nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber, doch: «Öffentliche Bildung sollte grundsätzlich auch öffentlich finanziert werden. Aber manchmal ist eine Zusammenarbeit mit Firmen möglicherweise sinnvoll.» So führt die Swisscom 2018 in Stans zwei Medienbildungskurse für Eltern durch. Die Firma übernehme dadurch auch Verantwortung, ist Meinrad Leffin überzeugt und beruft sich auf die guten Reaktionen von Teilnehmenden der Swisscom-Seminare.

Grosse Vorsicht sei bei digitalen Lernplattformen geboten, wo die Daten der teilnehmenden Kinder ins Spiel kommen. «Die Firmen kommen dadurch zu für sie interessanten Datensammlungen. Hier besteht meiner Meinung nach ein grösseres Risiko mit möglicherweise negativen Folgen», sagt der Schulleiter.

Pfannenfertige Unterrichtsmaterialien

Durch den Spardruck im Bildungsbereich sehen sich manche öffentlichen Schulen – so Beat A. Schwendimann, Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle beim Lehrerverband LCH – unter Zwang, private Finanzierungen in Betracht zu ziehen (siehe auch Interview). Sponsoren bieten zum Teil pfannenfertige Unterrichtsmaterialien an. «Diese Materialien tragen oft ein Logo des Sponsors und präsentieren nicht selten eine einseitige Sichtweise des Themas», sagt Beat A. Schwendimann. Insbesondere im Bereich der Digitalisierung entstünden für Schulen hohe Kosten, daher könnten sie versucht sein, Angebote von Technologieunternehmen anzunehmen – sei es für Geräte, Software oder Trainingsseminare. «Dank der LCH-Charta wurde ein gemeinsam geteiltes Verständnis entwickelt, welche ethischen Richtlinien beim Sponsoring von Schulen einzuhalten sind», erklärt Beat A. Schwendimann.

Transparenz sicherstellen

Mit der 2016 verabschiedeten Charta zeigt der Lehrerverband den richtigen Umgang mit Sponsoring an Schulen auf. Dazu gehören Themen wie Sachspenden, kostenlose Smartphones für Klassen, Werbung an Schulen oder der «Tag der Pausenmilch». 18 zivilgesellschaftliche Organisationen, Stiftungen und Unternehmen haben diese Charta unterzeichnet; darunter befinden sich auch Firmen wie Post, Swisscom oder Samsung. Sie verpflichten sich mit der Charta dazu, kantonale Datenschutzregeln einzuhalten und auf Produktwerbung zu verzichten. «Kooperationen, Sponsoring- und Förderprojekte sollen mittels einer schriftlichen Vereinbarung zwischen den öffentlichen Einrichtungen und ihren Partnern geregelt werden», sagt Schwendimann und betont: «Es ist zentral, dass Transparenz bei Kooperationen und bei der Nutzung von Produkten oder Dienstleistungen sichergestellt wird.» Eltern müssen vorgängig informiert werden, wenn ihrem Kind bestimmte Nahrungsmittel kostenlos in der Schule abgegeben werden, damit die Eltern die Abgabe der Nahrungsmittel bei Bedarf verhindern können.

 

Interview:

«Schulen sollten nicht auf Sponsoring angewiesen sein»

Indoktrination und Kommerz haben laut Beat A. Schwendimann, Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle des Lehrerverbandes LCH, im Klassenzimmer nichts verloren. Doch ganz auf Werbung und Sponsoring verzichten wollen und können die Schulen nicht.

 

Wie beurteilen Sie die Sponsoring- und Werbeangebote von Firmen und Organisationen an Schulen?

Beat A. Schwendimann: Kooperation zwischen Schulen, Unternehmen und Organisationen müssen genau beobachtet und geregelt werden. Sie müssen aber nicht zwingend ein Problem darstellen. Solche Kooperationen gibt es schon lange. Es sind aus privater Finanzierung schon hervorragende und vor allem innovative Schulprojekte hervorgegangen. Allerdings braucht es eine gegenseitige Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit und den Eltern. Der Persönlichkeitsschutz – insbesondere bei digitalen Daten – der Lernenden und Lehrpersonen muss sichergestellt werden. Kostenlose Angebote dürfen nicht mit persönlichen Daten bezahlt werden. Schulen und Lernende dürfen nicht als Werbefläche missbraucht werden.

Ist die Schule auf solche Angebote angewiesen?

Die Finanzierung der Schulen muss sichergestellt sein, damit sie ihren Bildungsauftrag ausführen können. Schulen sollten nicht auf Sponsoring angewiesen sein. Für besondere Projekte kann es sich jedoch anbieten, mit einem Unternehmen oder einer Organisation zusammenzuarbeiten. Gewissen Schulen stehen durch den Spardruck nur noch beschränkte Mittel zur Verfügung. Die finanzielle Situation ist jedoch von Schule zu Schule anders.

Wo wird die Grenze zwischen «für die Schule wertvoll» und «problematisch, weil zu werberisch» gezogen?

Der LCH hat eine Charta zum Thema Sponsoring an Schulen erstellt, welche von zahlreichen Unternehmen und Organisationen unterschrieben wurde. Darüber hinaus sind jedoch die Kantone in der Pflicht, gemeinsame Vorstellungen zu entwickeln, wie das Sponsoring an Schulen geregelt werden kann. Es muss von Fall zu Fall geprüft werden, ob pädagogische und inhaltliche Qualitätsstandards und Lehrpläne eingehalten werden und ein nachhaltiger Mehrwert für die Schule besteht. Es wird dann problematisch, wenn durch das Sponsoring die Persönlichkeitsrechte der Lernenden verletzt werden – etwa durch die Bearbeitung und Bekanntgabe von Personendaten an Dritte –, wenn einseitige politische und weltanschauliche Ansichten vermittelt werden und Abhängigkeitsverhältnisse entstehen. Indoktrination und Kommerz haben im Klassenzimmer nichts verloren.

Mit welcher Entwicklung rechnen Sie in Zukunft?

Das Problem, dass Unternehmen und Organisationen den Unterricht beeinflussen, wird in Zukunft eher noch zunehmen. Die Schulen sind immer mehr von Abbaumassnahmen betroffen, sodass benötigte Mittel fehlen. Dies erhöht die Gefahr, dass Schulen sich gezwungen sehen, Angebote von Sponsoren anzunehmen. Dadurch entstehen Abhängigkeitsverhältnisse, welche den Unterricht beeinflussen können. Insbesondere bei der Anschaffung digitaler Technologien entstehen hohe Kosten. Es ist erforderlich, dass die Kantone diese Kosten zusätzlich budgetieren. Es darf dadurch nicht zu Abstrichen in anderen Bereichen kommen. ++

 

(Text: Fabrice Müller, Redaktor Schule und Elternhaus Schweiz)

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